Rede | 20 Jahre Washingtoner Prinzipien – NS-Raubkunst
15. November 2019128. Sitzung
TOP 31 Aufarbeitung des NS-Kunstraubs
Auch knapp 75 Jahre nach Kriegsende und über 20 Jahre nach der Washingtoner Erklärung ist die Bilanz bei der Restitution von Kunstgütern, wie ich ausgeführt habe, spindeldürr.
Noch heute liegen allein in Nordrhein-Westfalen in den Museen circa 770 000 Kunstwerke unklarer Herkunft aus der NS-Zeit. Die beratende Kommission muss viel mehr gestärkt werden.
Das Protokoll des Bundestags:
Erhard Grundl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich habe den Ausführungen von Frau Professor Grütters und auch von Herrn Lindh gelauscht. Dem steht die Zahl von 15 Anrufungen der Kommission in 15 Jahren gegenüber, eine Zahl, die der heute schon oft zitierte Chef des World Jewish Congress, Ron Lauder, genannt hat. Für mein Gefühl ist das ein Skandal, der die gesamte Herangehensweise betrifft, mit der man bisher an diese Kommission von politischer Seite herangetreten ist.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Denn zwangsverkauft weit unter Wert, als Reaktion auf den Terror, so gelangte zum Beispiel die „Borussia“ von Adolph Menzel aus dem Besitz der Familie von Mendelssohn über den Kunsthändler Haberstock 1940 in die Reichskanzlei. Zum Schutz vor Bomben wird das Gemälde während des Krieges in das Salzbergwerk Altaussee gebracht und landet nach dem Krieg in der größten Kunstsammelstelle der Alliierten, im Central Collection Point in München. Schließlich wird es über ein Auktionshaus nach Berlin verkauft. Es dauert lange, bis zum Jahr 2000, bis das Gemälde an die Familie von Mendelssohn restituiert wird.
Die Odyssee der „Borussia“ zeugt vom systematischen Kunstraub, den Deutsche und ihre Helfer im Nationalsozialismus betrieben. Das alles liest sich wie ein Krimi, und kriminelle Energie war in der Tat nur zu oft die entscheidende Triebfeder in der gesamten Odyssee.
Ja, noch heute liegen allein in Nordrhein-Westfalen in den Museen circa 770 000 Kunstwerke unklarer Herkunft aus der NS-Zeit. Aber auch knapp 75 Jahre nach Kriegsende und über 20 Jahre nach der Washingtoner Erklärung ist die Bilanz bei der Restitution von Kunstgütern, wie ich ausgeführt habe, spindeldürr.
Der vorliegende Antrag der Koalitionsfraktionen zur Weiterentwicklung der Beratenden Kommission ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber auch nicht mehr. Richtig ist, dass die Möglichkeit der einseitigen Anrufung der Kommission in einem Konfliktfall durch die BKM gestärkt wurde. Doch in Bezug auf die Beratende Kommission bleibt der Anhang weit hinter dem zurück, was jetzt eigentlich ansteht. Die Kommission als Ansprechpartnerin der Opfer und ihrer Angehörigen muss ein klares eigenständiges Profil haben.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Sie braucht eine eigene Geschäftsstelle. Die Kommission darf keine Zweigstelle des Deutschen Zentrums Kulturgutverluste sein. Das widerspricht dem Gedanken der Unabhängigkeit. Für ihre Aufgaben braucht sie mehr und vor allem qualifiziertes Personal mit internationaler Erfahrung.
Im Antrag fehlt der Ansatz, konkrete Stellen zur Provenienzforschung zu schaffen. Das ist aber die Voraussetzung dafür, dass die Geschäftsstelle in der Lage ist, administrative Aufgaben zu erfüllen und Nachforschungen überhaupt anzustellen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)
Stattdessen – wir haben es gehört – soll ein Helpdesk für Antrags- und Übersetzungsfragen eingerichtet werden. Sinnvoll wäre es, wenn der Helpdesk an die Geschäftsstelle angeschlossen und mit eigenem Personal ausgestattet würde. Sonst werden allerdings ineffektive Doppelstrukturen geschaffen.
Vorgesehen ist, dass Opfer und Erben nun auch aus dem Ausland Anträge stellen können. Das begrüßen wir. Versäumt wird in dem Antrag aber, Betroffenen die Möglichkeit einzuräumen, selbst Gutachten externer Berater einzuholen und deren Expertise in die Provenienzklärung einzubeziehen. Nicht zuletzt werden in dem Antrag keine Zielmarken für die Digitalisierung staatlicher Kunstbestände gesetzt.
Meine Damen und Herren, die „Borussia“ von Menzel wurde 55 Jahre nach Kriegsende an die Familie von Mendelssohn restituiert. Das ist spät, viel zu spät. Jetzt, knapp 75 Jahre nach Kriegsende, ist dieser Teil deutscher Erinnerungskultur vor allem eines: ein nicht erfülltes Versprechen.
Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel sagte in seiner Eröffnungsrede auf der Washingtoner Konferenz 1998:
Wir wollen hier nicht über Geld, wir wollen über Gewissen, Moral und Erinnerung sprechen.
Aus der Frage nach Gewissen, Moral und Erinnerung ist inzwischen auch eine Zeitfrage geworden. Wir brauchen eine effektivere Form der Beratenden Kommission, und das sehr schnell.
Ich danke Ihnen.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte )
Vizepräsidentin Petra Pau:
Das Wort hat der Kollege Ansgar Heveling für die CDU/CSU-Fraktion.
(Beifall bei der CDU/CSU)