Autor*innenpapier | Weil er so wichtig ist, wollen wir ihn stärken: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Fundament unserer Demokratie

20. Oktober 2022

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist eine tragende Säule unserer Demokratie, ein Garant für Freiheit und Vielfalt. Wer seine Legitimität und Funktion in Frage stellt, der gefährdet diese Grundprinzipien unserer Gesellschaft.

Der Name ist Programm, denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat einen öffentlichen Auftrag. Neben den kommerziellen und nicht-kommerziellen privaten Medien ist der ÖRR unverzichtbarer Teil unserer Medienvielfalt. Er ist keiner Quote verpflichtet und schon gar keiner Partei. Sein Auftrag lautet, faktenbasiert, umfassend und unabhängig zu berichten. Er ist ein Angebot an alle. Ein Angebot, das Information und Unterhaltung, Kultur und Bildung umfasst. Er hat den Auftrag, die Vielfalt unserer Gesellschaft abzubilden und die Vielfalt der Meinungen in der Gesellschaft widerzuspiegeln. Die Öffentlich-Rechtlichen sind ein Garant der grundgesetzlich verbrieften Pressefreiheit und der Freiheit der Berichterstattung. Durch die Breite des Programmauftrags ist die Relevanz für jede und jeden sichergestellt.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein echtes Pfund im Kampf gegen mehr und mehr grassierende Falschnachrichten, die bewusst lanciert werden, um Demokratie, ihre Institutionen, Vertreterinnen und Vertreter zu diskreditieren und öffentliche Diskurse zu manipulieren. Um dieses Pfund werden wir, gerade dieser Tage, weltweit beneidet.

Nie wieder zentrale, staatlich gesteuerte Propaganda wie im Nationalsozialismus – das war das Ziel als der öffentlich-rechtliche Rundfunk nach dem zweiten Weltkrieg gegründet wurde. Dem verdanken wir heute eine vitale Medienlandschaft mit selbstverwalteten, föderal organisierten Sendern, finanziert durch Rundfunkbeiträge, mit privaten Qualitätsmedien und mit gemeinnützigem Journalismus. Dabei stellt die Beitragsfinanzierung die Unabhängigkeit des ÖRR sicher. So steht der Journalist, der eine Politikerin interviewt, nicht seiner Brötchengeberin gegenüber, wenn er kritische Fragen stellt. Es sind Rundfunk- und Verwaltungsrät*innen, aus der Mitte der Gesellschaft, die den Rundfunk kontrollieren.

Was passiert, wenn unabhängige öffentlich-rechtliche Massenmedien fehlen, sehen wir derzeit in EU-Mitgliedsstaaten wie Polen und Ungarn, aber auch weltweit: Wir sehen es in Russland, wo der Krieg gegen die Ukraine nicht Krieg genannt werden darf – unter Androhung langer Haftstrafen. Und wir sehen in Ländern wie den USA oder Italien, was passiert, wenn wenige Medienmogule die öffentliche Meinung bestimmen und steuern, ganz nach ihren eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen. Maulkorbpresse und Fake-News – nicht mit uns! Wir wollen in Deutschland keine Vormachtstellung von Akteuren à la Fox News. Wir wollen die öffentliche Meinungsbildung nicht milliardenschweren Konzernen wie Google und Facebook überlassen, die in vielen Fällen die eigenen wirtschaftlichen Interessen über die Belange des Gemeinwohls stellen. Wir wirken weiterhin auf verbindliche, gesetzliche Regelungen hin, damit sie ihrer großen gesellschaftlichen Verantwortung für die öffentliche Meinungsbildung auch tatsächlich gerecht werden. Die Öffentlich-Rechtlichen sind eine starke Antwort auf demokratiefeindliche Entwicklungen. Mit ihrem dichten Korrespondent*innennetz sind die Sender schnell an Orten der Krisen und gewährleisten so eine unabhängige Berichterstattung, die Propaganda totalitärer Regime entgegensteht. Darüber hinaus können auch sogenannte Factcheckings dazu beitragen, Desinformation entgegenzuwirken!

Als unabhängige Rundfunkanstalten sind die öffentlich-rechtlichen Sender der Wahrhaftigkeit und hohen journalistischen Standards verpflichtet und bieten so eine verlässliche Grundlage für öffentliche Meinungsbildungsprozesse und die demokratische Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger. Sie berichten sachlich über Aktuelles ebenso wie über die Zusammenhänge im Hintergrund, über Krisen und Krieg ebenso wie über demokratiegefährdende Entwicklungen wie den Rechtsextremismus. Sie zerlegen Desinformation und decken Verschwörungserzählungen auf. Sie geben Minderheiten eine Stimme und dekonstruieren Vorurteile in der Gesellschaft. Damit sind sie Rechtspopulisten ein Dorn im Auge – weltweit. Denn die fürchten nichts mehr, als eine kritische Einordnung ihrer populistischen Agitation.

Die Stärke des ÖRR ergibt sich auch aus seinem Programmauftrag, der deutlich über die Informationsvermittlung hinausgeht. Der Auftrag der Grundversorgung umfasst auch die Unterhaltung, umfasst die Sportübertragung wie den Krimi und die politische Talk-Show. Information und Unterhaltung bilden offensichtlich ein attraktives Programmangebot. Der Marktanteil allein der linearen öffentlich-rechtlichen Programme von 51,2 Prozent im Jahr 2021 zeigt deutlich, die Bürger*innen schätzen das öffentlich-rechtliche Angebot. Langzeitstudien belegen, dass das Vertrauen in den ÖRR kontinuierlich deutlich über 60 Prozent liegt. Während der Pandemie bei über 70 Prozent. Wer den ÖRR auf eine Versorgung mit Informationen, Bildung und Kultur reduzieren will, der reduziert seine gesellschaftliche Reichweite. Das werden wir nicht zulassen!

Die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks steht und fällt mit dem Vertrauen in die Unabhängigkeit und Staatsferne der journalistischen Arbeit sowie in eine transparente Führung der Geschäfte und einen verantwortungsvollen Umgang mit den Rundfunkbeiträgen. Nicht alles läuft rund beim ÖRR. Der Spardruck, der den Sendeanstalten auferlegt wurde, wirkt sich vor allem auf die freien Mitarbeiter*innen und damit auf die journalistische und redaktionelle Arbeit aus. Der Verdacht auf Vetternwirtschaft im rbb wiegt schwer. Noch schwerer wiegt der Verdacht auf Einflussnahme beim NDR. Auch wenn nach derzeitigem Stand einer vorliegenden internen Untersuchung keine politischen Filter im NDR vorhanden waren, so ist dennoch Vertrauen verloren gegangen. Die schwerwiegenden Vorwürfe gegen wenige Personen aus den jeweiligen Führungsetagen bringen auch die vielen Mitarbeiter*innen in den Sendern in Misskredit und gefährden das Ansehen und die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Systems insgesamt. Das werden wir nicht hinnehmen! Daher fordern wir umfassende Aufklärung und externe Untersuchungen. Dort, wo es nötig ist, müssen auch Strafverfolgungsbehörden einbezogen werden. Es müssen zügige und deutliche Reformen folgen. Wir unterstützen Reformprozesse in den Sendern ebenso wie in den Ländern. Auch der bereits vorliegende 3. Medienänderungsstaatsvertrag enthält wichtige Änderungen, die wir begrüßen.

Folgende Aspekte sind aus Sicht der Autor*innen für laufende Reformprozesse im öffentlich-rechtlichen Rundfunk entscheidend:

Die journalistische Freiheit steht im Zentrum
Der Informationsauftrag des ÖRR darf zu keinem Zeitpunkt von interessensgeleiteten Beschränkungen durch einzelne Redaktionsleiter*innen und sonstige Vorgesetzte eingeschränkt werden. Flächendeckend müssen mit angemessenen Ressourcen und Befugnissen ausgestattete Redaktionsausschüsse eingeführt werden. Diese haben zur Aufgabe, sich um die innere Rundfunkfreiheit und journalistische Qualität zu kümmern. Sie sollen Anlaufstelle sein für Journalist*innen beim Verdacht auf Einflussnahme in die Berichterstattung. Zudem muss es Stellen wie Ombudsleute außerhalb der Rundfunkanstalten geben, an die sich Mitarbeitende wenden können, um auf Missstände bei ihrem Arbeitgeber aufmerksam machen zu können (Whistleblowing). Die Vergütung für journalistische Arbeit im ÖRR muss alle sozialen Standards erfüllen, nur so kann journalistische Freiheit gelebt werden.

Kontrollgremien stärken
Die derzeit geplante Reform des Medienstaatsvertrags sieht weitere zusätzliche Aufgaben für die Rundfunkräte vor, für deren umfängliche Erfüllung sie auch in die Lage versetzt werden müssen. In Zukunft sollen sie stärker Zielvorgaben für Programminhalte setzen können und entscheiden, welche linearen Programme eingestellt, welche als Online-Angebot weitergeführt werden sollen. Um ihren Kontrollaufgaben gerecht werden zu können, brauchen die ehrenamtlichen Rundfunkrät*innen, als Vertreter*innen verschiedener gesellschaftlicher Interessengruppen, hauptamtliche Zuarbeit. Sie sollten über angemessen ausgestattete, von der Senderleitung unabhängige Gremienbüros verfügen können und sich mit Hilfe von fachlichen Schulungen weiterbilden. Die Aufsichtsgremien sollten verstärkt ihre Möglichkeiten in Anspruch nehmen, externe wissenschaftliche Expertise einzuholen. Für Verwaltungsrät*innen, die wichtige Kontrollfunktionen im finanziellen und juristischen Bereich erfüllen, sollten – wie zum Teil bereits in der Landesrundfunkgesetzgebung verankert – Qualifikationsanforderungen im journalistischen, betriebswirtschaftlichen oder steuerrechtlichen Bereich gelten. Wir bekennen uns zur gesellschaftlichen Vielfalt in unserem Land und unterstützen weitere Initiativen und Reformprozesse zur stärkeren Abbildung breiterer Bevölkerungsgruppen und deren Einbindung zur Kontrolle der Einhaltung des Sendeauftrags.

Mehr Transparenz schaffen
Wir erwarten von den Sendern, dass sie sich schnellstmöglich strikte Compliance-Regeln geben, in denen auch Prinzipien der fairen Vergabeverfahren und angemessenen Amtsausstattungen geregelt sind. Diese müssen in dem vom ÖRR angestoßenen Reformprozess kontinuierlich weiterentwickelt werden. Das 4-Augenprinzip muss grundsätzlich gelten. Weitreichende Finanzentscheidungen müssen durch Gremien anstatt durch Einzelpersonen getätigt werden. Bei allen Sendern muss es unabhängige Compliance-Beauftragte geben mit sachgerechter Ressourcenausstattung. Der Grundsatz der Unabhängigkeit sowie der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit ist selbstverständlich. Bei öffentlichen-rechtlichen Sendeanstalten, die einen Auftrag im Interesse des Gemeinwohls erfüllen und in vielfacher Hinsicht nicht dem Marktdruck privatwirtschaftlicher Medienunternehmen unterliegen, müssen auch in den Führungsebenen angemessene Gehaltsstrukturen gelten, die der Größe und Bedeutung des jeweiligen Senders entsprechen. Für die Bürger*innen muss einfach nachvollziehbar sein, wie Beitragsmittel ausgegeben werden. Der Rundfunk muss dem Auftrag entsprechend finanziert werden. Er darf nicht kaputtgespart werden.

Beteiligung der Beschäftigten stärken
Die hohe Qualität der Berichterstattung des Öffentlich-Rechtlichen lebt von der Arbeit der Beschäftigten. Es braucht eine strukturell vorgesehene Stärkung ihrer Belange und bessere Beteiligung der Beschäftigtenvertretungen an den relevanten Entscheidungen der Sender, beispielsweise durch feste Plätze in den Rundfunk- und Verwaltungsräten. Das schließt insbesondere auch die Vertretung der freien Mitarbeitenden mit ein. Damit wird auch eine Organisationskultur gestärkt, die Machtmissbrauch und Fehlverhalten vorbeugt. Freie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter müssen angemessen vergütet werden.

Den öffentlichen Diskurs über den gesellschaftlichen Auftrag des ÖRR ausbauen
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Garant für Freiheit und Vielfalt geht uns alle an. Ebenso wichtig wie Reformen ist eine öffentliche Debattenkultur über den gesellschaftlichen Auftrag und die Bedeutung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Darum setzen wir auf umfangreiche Beteiligung von Bürger*innen im Rahmen von institutionalisierten Dialogformaten – angelehnt an den Zukunftsdialog der ARD 2021. So soll ein kontinuierlicher Austausch über Inhalte und Formate entstehen durch den das öffentlich-rechtliche Angebot stärker am Puls der Zeit ist. Der Auftrag des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks ist es, ein Angebot an alle zu sein. Dieses Angebot sollte die Menschen in unserem Land in ihrer ganzen Diversität ansprechen. Parallel zum linearen Angebot müssen Mediatheken und nonlineare Angebote gerade für jüngere Nutzer*innen verstärkt ausgebaut werden.

Autor*innen:

Maria Klein-Schmeink, Stellv. Vorsitzende der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Konstantin von Notz, Stellv. Vorsitzender der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen
Erhard Grundl, Medienpolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen

 
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